Von Maximilian Plöger
Es war ein Samstagmorgen – ich noch ein bisschen müde aber bereits unterwegs zur Altstädter Nicolaikirche in der Bielefelder Innenstadt. Dorthin hatte der Kirchenkreis Bielefeld im Rahmen des Projektes „Aufbruch 2035“ unter dem Motto „Unterwegs in Richtung Zukunft“ zu einem Workshoptag eingeladen. Ziemlich gespannt war ich, was mich dort erwarten würde und welche neuen Impulse ich für meine Gemeinde und auch für den Bereich Jugendarbeit mitnehmen würde. Und so viel sei vorweggesagt: Es hat wirklich gutgetan, so viel Inspiration und neuen Elan für die nötigen Veränderungen in unserer Kirche zu bekommen und mitnehmen zu dürfen.
„Lasst uns gemeinsam Kirche sein!“ Dieses Mantra hat mich überzeugt vieles neu zu denken und auszuprobieren – ohne Altes sofort für schlecht und veraltet abzutun.
Als ich in die Kirche trat, warteten rund 30 Personen mit Kaffeetassen in der Hand auf den Beginn der Veranstaltung mit Dr. Emilia Handke (Pastorin und Leiterin von „Kirche im Dialog“ der Nordkirche/Hamburg) und Dr. Julian Sengelmann (Pastor, Schauspieler, Sänger, Moderator und Autor), um sich über die Zukunft von Kirche hier bei uns in Bielefeld Gedanken zu machen und neue Impulse mitzunehmen.
Vor dem prachtvollen Altar stand eine Leinwand mit aufgebautem Beamer und eine braune Stellwand mit ein paar vereinzelten Stecknadeln darin. Ich schmunzelte und ging mit dem Gedanken – das ist ja auch ein klassisches Bild von Kirche, altmodisch und modern so nah beieinander – an den anderen vorbei und schenkte mir einen Kaffee ein, um mich anschließend ganz motiviert in die zweite Reihe zu setzen.
Die Veranstaltung begann mit Dr. Emilia Handke, die uns als erstes auf der Leinwand ein Bild von einem runden, weißen Gegenstand zeigte und fragte: „Was ist das?“ Nach ein paar Vorschlägen war auch der richtige dabei. Es war ein Deeper; das ist ein Gerät für die Schifffahrt um unter Wasser Fische, versunkene Schätze oder verrosteten Schrott zu lokalisieren. So führte Emilia Handke dann mit diesem Vergleich in das Thema ein: „Unsere Kirche braucht unterschiedliche Deeper – stationäre in den Kirchengemeinden und mobile in den übergemeindlichen Bereichen.“
Uns wurde von Kirche im Dialog und deren Projekten berichtet. Besonders ist da die Wohnzimmerkirche bei mir hängen geblieben, die alle zwei Monate an einem Freitagabend stattfindet. Dieser Gottesdienst – der ganz anders ist - findet zwar in einer Kirche statt – und es gibt auch eine Liturgie, aber das war es dann auch an Gemeinsamkeiten mit dem klassischen Sonntagsgottesdienst. Die Kirchenbänke werden zur Seite geräumt, es kommen Sofas, Sitzsäcke, Hocker und Stehtische, ein paar Stühle, Lampen, Lichterketten, passende Dekoration, Essen und Getränke herein. Halt alles das, was du und ich auch im Wohnzimmer haben. Dabei wird alles im Kreis angeordnet, so gibt es kein vorne und kein hinten, sondern es gibt eine Mitte, in der alles stattfindet.
Statt Predigt steht in der Mitte des „Wohnzimmers“ ein alter Kaugummispender. Er enthält kleine Zettel mit Fragen zu dem jeweiligen Thema des Abends. Es wird dann gemeinsam gegessen, gesungen sowie kleine und große Fragen aus dem Frag-o-mat aus der Mitte beantwortet. Diese Fragen sind jedes Mal anders und sehr vielfältig: „Was war das Erste, was du heute Morgen gedacht hast?“, „Welche Figur in der Weihnachtsgeschichte wärest du wohl gewesen?“ oder „Wovon träumst du?“. Auch das EG sucht man hier vergebens. Gesungen wird, was alle kennen und können - und das ist aktuelle Pop-Musik, die auch passend zum Thema ausgewählt wird.
So wird die Wohnzimmerkirche zu einem Gottesdienst für alle Menschen. Auch die, die vorher noch nie in einem Gottesdienst waren, können so bedenkenlos daran teilhaben. Denn das ist oft das Problem: wir sind eine Kirche für Eingeweihte! Viele Menschen, die wenig oder keinen Kontakt mit Kirche haben, sind lange noch nicht vom Glauben distanziert, sondern sehnen sich nach einer Spiritualität, die sie aber nicht im klassischen Sonntagsgottesdienst oder den aktuellen Angeboten für sich finden.
Dasselbe Problem haben wir oft mit den Kasualien. Die Taufen und Trauungen nehmen ab – aber warum? Auch dazu hat Emilia Handke einiges an Zahlen und Hintergrundinformationen mitgebracht. Im Bereich der Taufen scheitert es oft an der Finanzierung der Feierlichkeiten nach der Taufzeremonie. An fehlenden Informationen auf den Internetseiten der Gemeinden und Kirchenkreisen oder an mutmaßlichen Verurteilungen der Kirche über die Lebenssituation der Eltern – zum Beispiel bei Alleinerziehenden. Ich bin fest davon überzeugt, dass – wenn wir diese Hürden abbauen und durch entsprechende Angebote von Tauffesten an anderen/ außergewöhnlichen Orten ersetzen, eine bessere Kommunikation im Web und auf Social-Media-Kanälen anbieten, dann sprechen wir auch wieder vermehrt Menschen an die aktuell nichts mit Kirche zu tun haben – sich dies aber wünschen.
So konfrontierte uns auch Julian Sengelmann direkt zu Beginn mit einer Frage: „Wie wäre es, wenn es gut wäre? Und Warum?“ Nach einigem Überlegen kamen wir auf einige Ideen. Diversere Gottesdienste, einfachere und weniger Strukturen, eine positive Fehlerkultur, Neues wagen, wieder mehr Relevanz in der Gesellschaft und vieles mehr haben wir gemeinsam an die Stellwand gepinnt. Dazu führte Julian Sengelmann dann einige Gedanken aus. Bei mir besonders hängen geblieben ist seine Aussage zur Relevanz von Kirche: „Wir sind nicht irrelevant, sondern resonanzlos! Das ist ein Unterschied.“ Ich finde diese Aussage trifft es auf den Punkt, wir bieten als Kirche und als Kirchengemeinde vor Ort viel an, aber dabei verlieren wir einige Zielgruppen aus dem Blickfeld.
Unsere aktuellen Angebote finden natürlich auch ein Publikum, aber dies sind nur in etwa 5 Prozent aller Kirchenmitglieder. Aber die anderen 95 Prozent finden sich aktuell nicht bei uns wieder. Dies muss sich ändern! Daher gibt es im Bereich der Hamburger Innenstadt einige Projekte der „Inner City Church“, die vieles auf den Weg bringt und ausprobiert – aber immer unter dem Aspekt: Kirche-on-Demand. Bedeutet auf den Punkt gebracht: wir erarbeiten ein Angebot, probieren das ein Jahr aus und machen dann eine Auswertung. Wie ist das Angebot angenommen worden? Aber das Wichtigste dabei: wenn es nicht geklappt hat, war das Angebot nicht schlecht, sondern nur nicht das, was die Menschen in der Gemeinde, Region oder sonst wo brauchen.
Diese positive Fehlerkultur fehlt uns leider an vielen Stellen in unserer Kirche. Wir brauchen keine Angst haben Neues zu wagen, weil wir resonanzlos bleiben, wenn wir nur so weiter machen wie bisher. Wir können vieles ausprobieren und neugestalten, ohne anderes über Bord zu werfen. Aber wir müssen uns auch an den Rückgang der finanziellen Mittel und der pfarramtlichen Versorgung gewöhnen.
Was wir dabei niemals übersehen dürfen, ist unsere größte Stärke innerhalb unserer Kirche: Du! Du als ehrenamtliche Person in deiner Kirchengemeinde, bei der Frauenhilfe, der Jugendarbeit, der Seniorenarbeit, den Kinderbibeltagen und so viel mehr, was unsere Kirche ausmacht. Eines habe ich noch nicht gesagt: von den 30 Leuten in dieser Kirche – die gespannt den beiden Referierenden nicht nur zugehört haben, sondern miteinander ins Gespräch kamen – waren mehr als Zweidrittel Ehrenamtliche, die sich bewusst für ihre Kirche mit der Zukunft und den kommenden Möglichkeiten auseinandersetzen wollten. Das lässt mich hoffen und den Leitsatz von der „Inner City Church“ erst richtig verstehen: „Kirche der Zukunft in der Gegenwart.“ Naja ... fast – aber auf einem guten Weg dahin!